Der Paukenschlag: Broder zerlegt Herrmann und die Scheinheiligkeit der “Brandmauer” – Steinmeiers Rede als Zündfunke einer Nation am Rande des Nervenzusammenbruchs

In der oft allzu glatten und konsenssüchtigen deutschen Fernsehlandschaft wirkt es wie ein erfrischendes Gewitter: Nena Brockhaus ist zurück auf dem Bildschirm, und ihre neue Talk-Sendung hat bereits mit der ersten Episode bewiesen, dass sie nicht vorhat, Gefangene zu machen. In einer Zeit, in der die politische Debatte von Phrasen, Empörungsritualen und sorgsam bewachten “Brandmauern” dominiert wird, wirft Brockhaus einen brennenden Molotowcocktail in das mediale Wohnzimmer.

Die Premieren-Gäste setzten den Ton: Der brillante und unerbittliche Publizist Henryk M. Broder traf auf die als “ultralinks” geltende Journalistin und Autorin Ulrike Herrmann. Das Ergebnis war kein höflicher Meinungsaustausch, sondern ein ideologischer Faustkampf – und ein Segen für jeden Zuschauer, der sich nach echter, ungeschminkter Auseinandersetzung sehnt.

Das zentrale Schlachtfeld des Abends war von höchster politischer Brisanz: die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 9. November, dem Schicksalstag der Deutschen. Ein Datum, das an den Fall der Mauer erinnert, an Einheit und Freiheit. Doch Steinmeiers Worte, so die einhellige Meinung der konservativen Seite des Spektrums, waren das genaue Gegenteil von Einheit.

Henryk M. Broder fand dafür unmissverständliche Worte. Er nannte die Rede schlicht “skandalös”. Ein hartes Urteil für ein Staatsoberhaupt, das per Definition über den Parteien stehen und die Nation einen soll. Doch Broder legte den Finger tief in die Wunde. Steinmeier, so der Vorwurf, habe das Pult des Bundespräsidenten missbraucht, um sich in einer Art und Weise in die tagesaktuelle Politik einzumischen, die seinem Amt nicht zusteht. Der Elefant im Raum: ein indirekt angedeutetes Verbotsverfahren gegen die AfD.

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Der eigentliche Skandal, den Broder herausarbeitete, lag jedoch in einer fast schon philosophisch anmutenden, aber brandgefährlichen Wortwahl des Präsidenten. Steinmeier sprach davon, dass wenn ein Teil des “demokratisch gewählten Parlaments” von der politischen Gestaltung ausgeschlossen sei, dieser Ausschluss “zunächst einmal selbst gewählt” sei. Ein Satz von eiskalter, administrativer Logik, den Broder mit einer genialen Analogie dekonstruierte. “Selber schuld”, rief Broder sinngemäß in die Runde. “Selber schuld, wenn Sie vergewaltigt werden – der Rock war zu kurz”.

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Ein schockierender Vergleich, gewiss. Aber einer, der die perfide Logik der Täter-Opfer-Umkehr perfekt einfing. Einem demokratisch gewählten Teil des Parlaments – und damit den Wählern, die ihn entsandt haben, laut Broder immerhin bis zu 30 Prozent – wird die Schuld dafür gegeben, dass man ihn von der Teilhabe ausschließt. Steinmeier, so Broders Analyse, gebe den “Objekten einer administrativen Maßnahme die Schuld, dass diese Maßnahme ergriffen werden musste”. Er fordere kein klares Verbot – das wäre immerhin ein Standpunkt –, sondern er legitimiere den Ausschluss. Ein Bundespräsident, der Teile des eigenen Volkes als “selber schuld” deklariert? Das, so der Tenor, sei ein Dammbruch.

Ulrike Herrmann, als Vertreterin der linken Deutungshoheit geladen, sah dies naturgemäß vollkommen anders. Für sie war die Rede frenetisch zu feiern, wie der Video-Kommentator süffisant anmerkte. Herrmann versuchte, den Fokus zu verschieben. Es sei Steinmeier gar nicht um ein Verbot gegangen, sondern um die “Brandmauer”. Die Rede sei ein direkter Appell an die CDU gewesen, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten.

Herrmann malte das Schreckensszenario von Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern, wo die AfD in Umfragen bei 38 oder 40 Prozent liege. Die Gefahr sei groß, dass die CDU dort “einknicke”, um eine Mehrheit zu bilden. Steinmeier habe also nur seine Pflicht getan und die CDU gewarnt. Denn, so Herrmanns These, das Ziel der AfD sei nichts Geringeres als die “Zerstörung und Ersetzung” der Union.

Als leuchtendes Vorbild präsentierte sie den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU), der mit reiner “Sachpolitik” aus der Mitte heraus regiere und die AfD damit kleinhalte. Eine interessante These, die jedoch einer kritischen Prüfung bedarf. Herrmanns Argumentation, die AfD sei dort am stärksten, wo es kaum Migranten gäbe (Sachsen-Anhalt), und dort schwach, wo es viele gäbe (Bremen), sollte belegen, dass eine harte Migrationspolitik der CDU nicht helfe.

Grass' Gedicht - Im Interview Henryk M. Broder | 05.04.12

Doch der Kommentator des Videos ließ ihr diese argumentative Rosinenpickerei nicht durchgehen. Ein schneller Faktencheck entlarvte Herrmanns Beispiele als haltlos. Die zitierten Umfragen aus Bremen (15% AfD) und Schleswig-Holstein seien Monate, teils fast ein Jahr alt. Angesichts der jüngsten politischen Verwerfungen und der desolaten Performance der CDU auf Bundesebene, sei es mehr als wahrscheinlich, dass diese Zahlen heute völlig anders aussähen. Herrmanns Argumentationsgebäude, gestützt auf veraltete Daten, begann zu wanken.

Nach einem kurzen, aber heftigen Disput über Antisemitismus im Islam – bei dem Broder Herrmanns Relativierungsversuche (“hat mit der Palästina-Frage zu tun”) mit dem simplen Hinweis konterte, dass es arabischen Antisemitismus schon lange vor dem Palästina-Konflikt gab – ließ Herrmann die eigentliche Katze aus dem Sack. Es war ein Vorschlag, der so manchem Unions-Wähler die Zornesröte ins Gesicht getrieben haben dürfte.

Ihre These: Die Union müsse “ganz dringend” ihren Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linkspartei aufheben.

Dieser Moment offenbarte die ganze Verzweiflung, die im linken Lager zu herrschen scheint. Der Kommentator fasste es treffend zusammen: “Oi Frau Herrmann, oi, ihr grünes Schiff geht langsam aber sicher unter”. Da die alten Mehrheiten bröckeln, müsse nun die Linke als neuer Partner ins Boot geholt werden. Herrmanns Begründung war an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten: Die Union, so Herrmann, bediene sich doch längst der Stimmen der Linken im Bundestag, wenn es um Zwei-Drittel-Mehrheiten gehe. Sie nannte die Wahl von Friedrich Merz und die Wahl von Verfassungsrichtern als Beispiele.

Als Beweis für die Harmlosigkeit der Linken zog sie Thüringen heran, wo Bodo Ramelow lange regierte und “die Welt nicht untergegangen” sei. Es war der Moment, auf den Henryk M. Broder gewartet hatte. Mit der ihm eigenen, genialen Boshaftigkeit erwiderte er trocken, die Welt sei unter dem Regime der Taliban auch nicht untergegangen – wenn das der Maßstab sei. Ein brillanter Konter, der die Absurdität von Herrmanns Argumentation in einem Satz entlarvte und das Studio zum Beben brachte.

Doch die Sendung beließ es nicht bei dieser Bloßstellung. Sie lieferte auch den notwendigen Kontext, indem sie die Position des CDU-Generalsekretärs (Carsten Linnemann) einspielte. Dieser fand, im Gegensatz zu Herrmann, klare Worte. Er nannte die Positionen der Linken “gefährlich” und “hochproblematisch”. Er erinnerte daran, dass Gruppierungen wie “Marx21” vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil sie eine “kommunistische Gesellschaftsordnung” anstreben. Er sprach über die Gewaltbereitschaft der Jugendorganisation “Solid” und deren Beschlüsse, die Israel als “rassistisches Staatsprojekt” diffamieren. Mit einer solchen Partei, so Linnemann, wolle er nicht koalieren.

Damit war der ideologische Graben vollständig aufgerissen. Auf der einen Seite eine linke Journalistin, die aus politischer Not heraus eine Öffnung der CDU zur extremistischen Linken fordert. Auf der anderen Seite die CDU-Führung, die zumindest verbal noch an ihren Grundsätzen festhält.

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Henryk M. Broder, der in der Debatte sichtlich aufblühte, nutzte die Gelegenheit jedoch auch, um der CDU selbst einen mitzugeben. Er kritisierte Friedrich Merz scharf dafür, einen “abgewählten Bundestag” reanimiert zu haben, nur um eine Abstimmung durchzubekommen, die er “gerne haben wollte”. Das sei zwar legal gewesen, aber “nicht legitim” und “kein guter Stil”. Eine Demonstration, dass Broders Kritik nicht parteiisch ist, sondern sich gegen die Erosion von demokratischen Normen und Anstand richtet, ganz gleich, von wem sie betrieben wird. “So viele Tabus sind gebrochen worden”, resümierte er.

Der Auftakt von Nena Brockhaus’ Sendung war mehr als nur “kurzweilig”, wie der Kommentator am Ende feststellte. Er war eine notwendige Operation am offenen Herzen des deutschen Politikbetriebs. Er zeigte einen Bundespräsidenten, der seine Rolle als Einiger der Nation aufgegeben zu haben scheint, um sich als Spalter im Parteienkampf zu betätigen. Er zeigte eine linke Publizistik in Panik, die bereit ist, letzte ideologische Grenzen einzureißen, um den eigenen Machtverlust aufzuhalten. Und er zeigte einen “gut aufgelegten Herrn Broder”, der mit Witz, Schärfe und unbestechlicher Logik die Widersprüche und die Heuchelei des Systems aufdeckt. Davon, da kann man dem Kommentator nur zustimmen, kann Deutschland gar nicht genug bekommen. Mehr davon.