Die verborgene Tragödie des Boris Becker: Der stille Kampf des gefallenen Helden gegen den eigenen Körper

Wir alle erinnern uns an das Bild: ein 17-jähriger Junge mit feuerrotem Haar, die Arme triumphierend in den Himmel von Wimbledon gerissen. Boris Becker, das Wunderkind aus Leimen, der jüngste Sieger aller Zeiten, ein nationales Symbol für Ehrgeiz, unbändige Kraft und den Glauben daran, dass alles möglich ist. Dieses Bild hat sich in das kollektive Gedächtnis einer ganzen Nation eingebrannt. Es ist das Bild eines Siegers, eines Mannes, der auf dem Platz wie im Leben unerschütterlich schien.

Heute, Jahrzehnte später, macht ein anderes Bild die Runde. Es ist ein Bild, das schockiert, das Mitleid erregt und das so gar nicht zu dem kraftvollen Athleten von einst passen will. Aktuelle Aufnahmen zeigen einen Mann von 57 Jahren, dessen Gesicht “stark eingefallen” und dessen Haut “blass” ist. Die Augen wirken müde, der Blick verloren. Es ist Boris Becker, aber es ist ein Boris Becker, den die Welt so nicht kennt. Die Schlagzeilen drehen sich nicht mehr um Grand-Slam-Titel oder private Eskapaden. Sie drehen sich um eine beunruhigende Diagnose: Boris Becker soll an einer “chronischen Herzerkrankung” leiden.

Die Nachricht hat in Deutschland eine Welle der Besorgnis ausgelöst. Der Held von einst, der so oft gefallen und wieder aufgestanden ist, kämpft offenbar seinen bisher schwersten Kampf. Es ist kein Match gegen einen Gegner auf dem Tennisplatz. Es ist ein stiller, zermürbender Kampf gegen den eigenen Körper, gegen die Zeit und gegen die Schatten einer Vergangenheit, die ihn nie ganz losgelassen hat.

Die Enthüllung kam nicht über Nacht. Rückblickend fügen sich viele kleine, beunruhigende Hinweise zu einem Gesamtbild. Da waren die öffentlichen Auftritte, bei denen Becker ungewöhnlich blass und zurückhaltend wirkte. Interviews, in denen er von Erschöpfung und innerem Druck sprach. Besonders ein Auftritt bei einer Sportgala in Köln im Juni lässt Beobachter heute erschaudern: Becker, im dunklen Anzug, schwitzte auffällig stark, atmete schwer und musste nach der Veranstaltung gestützt werden. Damals wurde es als simple Erschöpfung abgetan. Heute, im Licht der Diagnose, wirkt die Szene wie ein stiller Hilferuf.

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Insider, die dem ehemaligen Tennisstar nahestehen, sprechen von einer ernsten Situation. “Boris hat lange versucht, das Ganze herunterzuspielen”, zitiert die Presse einen Mitarbeiter aus seinem Umfeld. Doch die Ärzte sollen ihm unmissverständlich klargemacht haben, dass er seine Lebensweise drastisch ändern muss, wenn er “weitermachen will”. Die Diagnose soll ihn bereits vor mehreren Monaten ereilt haben, doch Becker habe die Erkrankung aus Angst vor negativen Schlagzeilen lange Zeit nur einem kleinen Kreis anvertraut.

Diese gesundheitliche Krise trifft Becker in einer Phase, die eigentlich ein Neuanfang sein sollte. Nach seiner Haftentlassung hatte er öffentlich von seiner “zweiten Chance” gesprochen, von innerer Ruhe und einem neuen Kapitel. Nun wird dieser Neuanfang von der harten Realität seiner körperlichen Verfassung überschattet. Die Bilder des gealterten Champions besitzen eine tragische Symbolkraft. Sie zeigen nicht nur den physischen Verfall eines Mannes, der einst als unbesiegbar galt, sondern auch die Zerbrechlichkeit, die sich hinter der Fassade des Ruhms verbirgt.

Doch der wahre Wendepunkt, der Moment, in dem die Fassade Risse bekam, fand nicht im Rampenlicht statt. Er ereignete sich leise, fast unscheinbar, in einem Hotelzimmer in Zürich. Es war ein kühler Abend im Spätsommer. Becker saß allein da, die Hände auf die Brust gepresst, und versuchte, ruhig zu atmen. Ein stechender Schmerz, ein Zittern in den Fingern, ein kurzer Schwindel – Signale, die er lange ignoriert hatte, wurden plötzlich unüberhörbar. Ein enger Freund erzählte später, dass Becker in diesem Moment zum ersten Mal laut ausgesprochen habe: “Ich habe Angst”.

Es war das Eingeständnis einer Verletzlichkeit, die in der Welt des Spitzensports, in der Becker aufgewachsen war, keinen Platz hatte. Wenige Tage später kam die Diagnose: chronische Herzerkrankung. Die Ärzte erklärten ihm ruhig, dass sein Körper über Jahre hinweg zu viel durchgemacht habe – physisch wie psychisch. Der Stress, der Schlafmangel, die alten Verletzungen, die nie ganz ausheilten, und der unaufhörliche Druck, der ihn seit seiner Jugend begleitet hatte.

In diesem Moment der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit soll Becker lange aus dem Fenster geblickt und leise gesagt haben: “Ich dachte immer, ich bin stärker als das Leben”. Es war der Beginn einer neuen, schmerzhaften Etappe, einer Etappe, die nichts mit Pokalen zu tun hatte, sondern mit Krankenhausfluren, Medikamentenlisten und nächtlichen Gedanken über die Vergänglichkeit.

Von da an änderte sich alles. Öffentliche Auftritte wurden seltener. Das einst so selbstbewusste Lächeln wich einer ernsten Nachdenklichkeit. Freunde berichten, Becker habe begonnen, sich in seiner Londoner Wohnung zurückzuziehen. Er liest viel, schaut alte Matches an – doch nicht mehr mit Stolz, sondern mit einer Art melancholischer Distanz.

Besonders berührend ist die Erzählung eines ehemaligen Trainers, der Becker besuchte. Er beschrieb, wie der einstige Champion mit zitternden Händen ein altes Tennisracket aus dem Schrank holte – das Racket, mit dem er 1985 Wimbledon gewonnen hatte. “Er streichelte den Griff, als wollte er sich selbst daran erinnern, wer er einmal war”, so der Trainer. “Dann legte er es behutsam zurück, ohne ein Wort”.

Die Krankheit, so schwächend sie ist, hat auch seine Sicht auf das Leben verändert. In Interviews begann Becker über Dinge zu sprechen, die man von ihm früher nie gehört hatte: über Dankbarkeit, über Demut, über die “Stille nach dem Applaus”. Er erzählte, wie schwer es sei, wenn man nach Jahrzehnten im Rampenlicht plötzlich allein ist, wenn der Jubel verstummt und man “sich selbst aushalten muss”. Sein Kampf hat sich verlagert. “Früher habe ich nur gekämpft, um zu gewinnen”, sagte er. “Heute kämpfe ich, um zu leben, und manchmal reicht das schon”.

Der impulsive Heißsporn von einst wirkt heute wie ein Mann, der gelernt hat, seine Wut in Nachdenkeit zu verwandeln. Er verbringt viel Zeit in der Natur, geht spazieren, meist allein, manchmal mit Kopfhörern, hört alte Jazzplatten oder einfach das Rauschen der Bäume. Er sucht nicht mehr den Sieg, er sucht den Frieden.

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Doch der Frieden ist trügerisch. Die Nächte sind sein Prüfstein. In den stillen Stunden, wenn London zur Ruhe kommt, sitzt Becker oft allein am Fenster. Der Schlaf findet ihn selten. Die Gedanken kreisen, mal leise, mal wie ein Sturm. Es sind nicht nur die Schmerzen in der Brust, die ihn wach halten. Es sind die Erinnerungen an Siege, an Verluste, an Gesichter, die längst verschwunden sind. Er denkt an den Jungen mit den leuchtenden Augen und dann an die Einsamkeit, die leeren Hotelzimmer, die Schlagzeilen, die ihm das Gefühl geben, ein “Fremder in seinem eigenen Leben” zu sein.

“Man kann sich an Applaus gewöhnen”, hat er einmal gesagt. “Aber niemand bringt einem bei, wie man mit der Stille danach lebt”. Diese Stille ist nun sein Begleiter. Freunde erzählen, er sei ruhiger geworden, fast zerbrechlich. Doch hinter dieser Ruhe verbirgt sich ein Kampf, den kaum jemand sieht: der Kampf eines Mannes, der nie gelernt hat, über Schwäche zu sprechen, und der sie nun Tag für Tag leben muss.

In einem ehrlichen Moment soll er neulich zu einem Bekannten gesagt haben: “Ich bin nicht traurig. Ich bin nur müde”. Es ist eine Müdigkeit, die tiefer sitzt als jede körperliche Erschöpfung. Es ist die Müdigkeit vom Versuch, das Leben und die Scherben der Vergangenheit immer wieder in Ordnung zu bringen. Er weiß, dass die Welt ihn als den Gefallenen sieht, den Mann, der zu oft gestürzt ist. Doch was kaum jemand versteht, ist, dass jeder Absturz Spuren hinterlässt, die tiefer gehen als jede Narbe. Er weiß, dass die Öffentlichkeit ihm vielleicht nie ganz verziehen hat. Aber schlimmer ist, “dass er sich selbst noch nicht vergeben kann”.

Er hat sein Leben neu geordnet. Kein Alkohol mehr, keine nächtelangen Feste, keine Interviews, die ihn zwingen, Masken zu tragen. Stattdessen Bücher, Spaziergänge, Gespräche mit wenigen Vertrauten. Doch die Angst bleibt. Die Angst vor dem Pochen in der Brust, das stärker wird, schneller, unregelmäßiger. Sie ist “wie ein Schatten, den er akzeptiert hat, ohne ihn wirklich loszulassen”.

In dieser Dunkelheit gibt es jedoch auch leise Momente der Menschlichkeit, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß. In einer alten Schublade, so wird erzählt, liegt ein Brief seiner Ex-Frau Lilli, geschrieben, kurz bevor alles zerbrach: “Ich weiß, dass du kämpfen willst, aber manchmal muss man auch loslassen, um wieder atmen zu können”. Er liest diese Zeilen manchmal, als Erinnerung daran, wie sehr er sich selbst verloren hatte.

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Da ist auch die Erinnerung an eine Krankenschwester namens Sabine, die ihn während seiner Behandlung betreute. Ein “stiller Engel”, wie er sie nannte. Als er kaum atmen konnte, saß sie neben ihm, hielt seine Hand und sagte: “Atmen. Mehr musst du jetzt nicht tun”. Bei seiner Entlassung gab sie ihm eine Notiz: “Auch Helden dürfen müde sein”.

Vielleicht ist es das, was wir aus der Geschichte von Boris Becker lernen können. Hinter der Legende, hinter dem Triumphator und dem Gefallenen, steckt ein Mensch. Ein Mensch mit Schwächen, mit Schmerz und mit einer tiefen Sehnsucht nach Frieden. Wir haben ihn jubeln sehen, wir haben ihn fallen sehen. Heute verdient er etwas als Schlagzeilen. Er verdient Mitgefühl. Denn der größte Sieg ist nicht der, den man auf dem Rasen von Wimbledon erringt, sondern der, den man im Stillen gegen sich selbst kämpft – in den Nächten, wenn die Kameras aus sind und nur noch das eigene, unregelmäßige Herz zu hören ist.