Letzter Moment von Laura Dahlmeier – Die Gefühle ihrer Mutter über Lauras Entscheidung

Irgendetwas muss ich, irgendetwas soll ich schreiben. Ich starre auf das Bild auf meinem Laptop. Heute ist ein Lavendelfeld zu sehen. Dazu ein einsames Haus und im Hintergrund eine Hügelkette, umgeben von zartem Orange. Laura Dahlmeier hätte das gefallen. Das weiß ich. Und weiter?

Ich will nicht, dass die Finger streiken, aber so flüssig wie sonst schwingen sie nicht über die Tasten. Ich kehre erst einmal meine Terrasse und denke nach.

Zurück mit tausend Fragen und dem immer gleichen Refrain: Warum, warum Laura? Gerade sie, die immer so vorsichtig war. Umsichtig bei ihren Unternehmungen ging sie vor, denn sie war sich der Risiken im hochalpinen Gelände bewusst: mehr als vermutlich viele andere.

Und ja, ich bin erschüttert, irgendwie auch ratlos. Sie hat mich begleitet, viele Jahre oder eher ich sie bei ihren Biathlonwettkämpfen, die sie bekannt gemacht haben. Nein mehr.

Biathlon-Olympiasiegerin Dahlmeier bei Bergunfall gestorben

Quelle: SID

Berühmt ist sie geworden und das weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Ich habe jeden, wirklich jeden offiziellen ihrer Schritte in den Loipen der vielen Stadien beobachtet und ihre grenzenlose Ruhe, ihr Selbstverständnis am Schießstand bewundert. Das darf man als Reporter in Ausnahmefällen auch tun. Und Laura war eine Ausnahme.

Ihr Erfolgsgeheimnis war ihre Natürlichkeit. Sie stillte Sehnsüchte. Wie Rosi Mittermaier und Magdalena Neuner. Die sympathischen Mädels aus den Bergen. Naturverbunden, geerdet und ungeheuer erfolgreich.

Aber ich habe auch gesehen, wie ihr der Rummel um ihre Person zusetzte. So sehr, dass sie wohl am liebsten auf Siegerehrungen und alles drumherum verzichtet hätte. Aber das ging natürlich nicht, denn viele wollten ein Stück Laura haben. Als könne man sich ein bisschen Laura ins Wohnzimmer stellen. Manchmal legte sie sich nach den Rennen so lange im Zielraum in den Schnee, dass man Angst um sie bekam. Es schien, als habe sie sich übernommen.

Es war so, als würde der Körper gegen die folgenden Pressekonferenzen und Interviews aufbegehren. Das klappte zum Teil auch ganz gut und so heimlich lächelte ich dann in mich hinein.

Laura Dahlmeier (31†) war bis 2019 als Biathletin aktiv

Fotocredit: Getty Images

Ihr Erfolgsgeheimnis war ihre Natürlichkeit. Sie stillte Sehnsüchte. Wie Rosi Mittermaier und ja, auch wie Magdalena Neuner. Die sympathischen Mädels aus den Bergen. Naturverbunden, geerdet. Und dann auch noch ungeheuer erfolgreich. Wie sehr Laura Dahlmeier das Gezerre um ihre Person, ja um ihre Persönlichkeit auf die Nerven ging, verdeutlichte der frühe Rücktritt vom Sport.

Seriensiegerin und Fanliebling: Trauer um Laura Dahlmeier

Quelle: Eurosport

Mit 25 Jahren, wenn viele erst anfangen, Medaillen zu sammeln, hörte sie auf. Es ging ein Seufzen durch die Sportwelt. Der Verband verlor eine sichere Medaillenbank, die Zuschauer ihren Publikumsliebling und wir, die Berichterstatter jedweder Couleur aus vielen Nationen, einen Mittelpunkt unserer Arbeit, die Laura uns ja leicht machte. Sie spielte das Spiel mit.

Mit wieviel Unbehagen behielt sie für sich. Für Laura war das Ende ein Anfang. Endlich konnte sie ihre Liebe zu den Bergen uneingeschränkt ausleben. Sie hatte ja schon als junges Mädel bei der Bergwacht Einsätze absolviert oder auch mal auf der Hütte die Erbsensuppe an die Tische getragen. Es war selbstverständlich für sie. So wurde sie erzogen.

Und so begann der neue Lebensabschnitt ohne Termindruck, ohne Trainingslager und Wettkämpfe. Freiheit. Und manchmal hatte man fast den Eindruck, die Medaillenjagd liegt schon unendlich lange zurück. Als wäre sie nur eine kleine, kaum noch erwähnenswerte Episode gewesen.

Raus aus dem Gefängnis Biathlon – in die Berge

Immerhin brachten diese Jahre wohl eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit mit sich, die es nun möglich machte, wohl langgehegte Pläne zu verwirklichen. Die Berge lockten. Endlich. Dabei wählte sie – typisch Laura – meistens Routen abseits des üblichen alpinen Rummels, den sie zutiefst verabscheute. Sie schleppte auch ihren Rucksack selbst. Sie kletterte im alpinen Stil.

Große Expeditionen waren ihr ein Gräuel. Die Biathlon-Jahre mit all ihren Einschränkungen und Verpflichtungen wirkten nach. Viele Menschen überforderten sie. Über die sozialen Medien wurde ich über ihre Unternehmungen auch nach der Biathlonzeit stets umfassend informiert, denn auch in ihrem neuen Leben weckte sie bei vielen Menschen Sehnsüchte, denn wer kann schon von sich sagen, dass er einfach nur das tut, was er gerade gerne tun will. Für sie hieß das: Raus an die frische Luft, die Welt von oben betrachten. Aufatmen, durchatmen nach dem Gefängnis Biathlon.

Laura Dahlmeier verunglückte nicht, weil sie zu wagemutig war. Sie war sich stets der Gefahren bewusst, die sie sorgsam abwägte. Sie kannte die Berge, ihre Schroffheit, aber sie liebte ihren Zauber.

Ich hatte das große Glück, das zwischen uns eine stille Verbindung bestand. Ich verstand mich blendend mit Papa Andi und Lauras Tante Regina Stiefl. Die ehemalige Weltklasse-Mountainbikerin war in den Anfangsjahren von Eurosport meine Co-Kommentatorin.

Kleine und interessante Informationen habe ich dadurch erhalten, die ich freilich für mich behalten habe. Sie dienten mehr dem Verstehen als dem Erzählen. Jetzt gibt es keine Bilder mehr von einer lachenden Laura, die in den Felsen hängt, nach unten schaut oder auch nach oben. Wer weiß.

Laura Dahlmeier wurde nur 31 Jahre alt

Fotocredit: Getty Images

Dahlmeier hat viele Gipfel erklommen

Laura Dahlmeier verunglückte nicht, weil sie zu wagemutig war. Sie war sich ja stets möglicher Gefahren bewusst, die sie sorgsam abwägte. Sie kannte die Berge, ihre Schroffheit, aber sie liebte ihren Zauber. Sie war glücklich dort, wo der Mensch sich jeden Schritt und Tritt erkämpfen muss, wo er freilich mit etwas Glück Gefühle erleben kann, die uns Talbewohnern für immer verwehrt bleiben.

Laura Dahlmeier hat viele Gipfel erklommen. Im alten Leben als Biathletin, im neuen als Alpinistin. Jetzt bleibt nur Unverständnis, irgendwie, Fassungslosigkeit, Trauer, auch Wut, irgendwie.

Ein Satz von Laura soll und kann uns trösten. Vielleicht. “Wer in die Höhe geht, muss wissen, dass er auch nicht zurückkommen kann.”

ZUR PERSON SIGI HEINRICH:

Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichnete Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich startete seine Karriere als Sportjournalist 1983 bei der Süddeutschen Zeitung und ist nun mehr seit mehr als 25 Jahren die Stimme von Eurosport. Der 69-Jährige begleitet am Mikrofon fachkundig die Sportarten Biathlon, Leichtathletik sowie Eiskunstlauf.