Skandal-Witz von Dieter Nuhr: Droht jetzt eine Klage von Angela Merkel? Die ganze Geschichte hinter der “Kuckucks”-Affäre und der Welle der Empörung

Ein Witz. Manchmal ist es nur ein einziger, kurzer Satz, der eine ganze Nation in Aufruhr versetzen kann. Ein Satz, der auf einer Bühne gesprochen wird, über die Bildschirme flimmert und Sekunden später ein digitales Beben auslöst. Diesmal ist der Absender kein Geringerer als Dieter Nuhr,

einer der bekanntesten und gleichzeitig umstrittensten Kabarettisten Deutschlands. Und das Ziel? Niemand Geringeres als die ehemalige Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel. Was in den Minuten nach seiner letzten Livesendung geschah, ist mehr als nur eine mediale Randnotiz; es ist ein Symptom für die tiefen Gräben, die die Ära Merkel hinterlassen hat.

Die Luft im Studio war kaum abgekühlt, da zirkulierten bereits die ersten Berichte. Es war ein Gerücht, das sich wie ein Lauffeuer verbreitete und die ohnehin schon hitzige Debatte auf ein neues Level hob: Eine Sprecherin von Angela Merkel habe angekündigt, rechtliche Schritte zu prüfen. Eine Anzeige wegen Beleidigung stünde im Raum. Ein Kabarettist, der von einer Kanzlerin a.D. verklagt wird? Allein die Vorstellung sorgte für Schnappatmung in den Redaktionen und auf den Sofas der Republik.

Aber was war eigentlich passiert? Was war der Auslöser für diesen vermeintlichen Eklat, der nun die Schlagzeilen dominiert?

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Um das zu verstehen, müssen wir zurück in die Sendung. Nuhr, bekannt für seine pointierten und oft polarisierenden Analysen der politischen Landschaft, nahm sich die aktuelle Berichterstattung über Angela Merkel vor. Er spottete über Titelgeschichten, wie die des “Satiremagazins Der Spiegel”, die Merkel als “gefeiert” darstellten, oder über den “Stern”, der wörtlich schrieb, sie werde “schmerzlich vermisst”. Nuhr zog diese Darstellungen ins Lächerliche, fragte höhnisch, wo denn die Sektkorken knallen würden, und unterstellte, dass vor allem junge Leute Merkel vermissen, weil sie sie “mit der Schulleiterin aus Harry Potter verwechseln”.

Es war das übliche Geplänkel, das man von ihm kennt. Provokant, aber noch im Rahmen des Erwartbaren. Doch dann, nach diesem rhetorischen Warmlaufen, kam der Satz, der alles veränderte. Der Satz, der nun als Kern des Anstoßes gilt. Dieter Nuhr bezeichnete Angela Merkel als den “linksgrünen Kuckuck in der CDU”.

Ein Kuckuck. Ein Vogel, der seine Eier in fremde Nester legt, der die ursprünglichen Bewohner verdrängt. Die Metapher ist brachial und unmissverständlich. Nuhr wirft Merkel damit nicht weniger vor, als die CDU, ihre eigene Partei, von innen heraus gekapert und ideologisch entkernt zu haben – sie zu einem Instrument linker und grüner Politik gemacht zu haben, getarnt im konservativen Gewand.

Es ist dieser “Kuckucks”-Vorwurf, der die Debatte entzündete. Für die einen war es eine brillante, zugespitzte Analyse der Ära Merkel, eine treffende Beschreibung des sogenannten “Sozialdemokratisierung” der Union. Für die anderen war es eine unverschämte Beleidigung, eine Herabwürdigung des Amtes und der Person, eine rote Linie, die hier massiv überschritten wurde.

Die Reaktionen, die unmittelbar nach der Sendung einsetzten, zeigen die ganze Bandbreite der gesellschaftlichen Spaltung. Doch der wahre Sturm baute sich nicht nur auf den Titelseiten auf, sondern auch in den Kommentarspalten und Foren, die als Resonanzboden für die öffentliche Meinung dienen. Die Macher des Beitrags, der den Skandal aufgerollt hat, fanden die Empörung über Nuhrs Witz schlicht “lächerlich”. Sie sehen darin eine überzogene Reaktion, ein Zeichen von mangelnder Souveränität im Umgang mit Kritik.

Diese Perspektive wird im selben Atemzug mit einer Umfrage untermauert, die wie eine Rechtfertigung für Nuhrs Spitze wirkt. Es wird eine Bürgerbefragung zitiert, bei der angeblich 83 Prozent der Teilnehmer die Flüchtlingspolitik als den “größten Fehler” von Angela Merkel bezeichneten. Diese Zahl wird wie ein Banner vorangetragen, um zu signalisieren: Nuhr spricht nur aus, was die “schweigende Mehrheit” längst denkt. Die Kritik an Merkel sei nicht nur legitim, sondern statistisch untermauert.

Die Fronten sind klar. Auf der einen Seite die Verteidiger der Satirefreiheit, die argumentieren, dass Kunst und Kabarett genau das tun müssen: die Mächtigen provozieren, unbequeme Wahrheiten aussprechen und Metaphern nutzen, um komplexe politische Vorgänge greifbar zu machen. Sie sehen in der Drohung einer Klage einen gefährlichen Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Auf der anderen Seite stehen jene, die argumentieren, dass auch die Satire Grenzen hat. Dass die “Kuckucks”-Metapher keine politische Analyse sei, sondern eine persönliche Diffamierung, die darauf abzielt, die Integrität und die Lebensleistung einer Politikerin zu diskreditieren. Sie sehen in Nuhrs Wortwahl eine Verrohung der Sitten, die den gesellschaftlichen Diskurs vergiftet.

Doch der Vorfall offenbart noch tiefere, beunruhigendere Strömungen. Die Debatte blieb nicht bei der Frage “Satire oder Beleidigung?” stehen. Sie eskalierte schnell zu einer Generalabrechnung mit der Kanzlerschaft Merkels. Der “Kuckucks”-Witz diente als Katalysator, um altbekannte und schwere Vorwürfe wieder auf die Tagesordnung zu bringen.

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So dauerte es nicht lange, bis auch die AfD-Politikerin Alice Weidel zitiert wurde. Weidel, bekannt für ihre scharfe Rhetorik gegen die ehemalige Kanzlerin, fand erwartungsgemäß deutliche Worte. “Merkel hat Deutschland schwer geschadet”, so ihre Einschätzung. Sie machte Merkel persönlich für die “unkontrollierte Massenmigration ab 2015” und die “Energiewende” verantwortlich. Zwei der umstrittensten und folgenreichsten politischen Projekte der Ära Merkel. Weidel warf Merkel “kein Schuldbewusstsein, keine Selbstreflektion” vor und kritisierte, dass sie stattdessen mit Verdienstorden von Ministerpräsidenten wie Söder und Wüst geehrt werde.

Diese Einmischung zeigt: Der Streit um Nuhr ist längst kein reiner Medien- oder Satirestreit mehr. Er ist ein politischer Stellvertreterkrieg um das Erbe Angela Merkels.

Und dieser Krieg wird mit den härtesten Bandagen geführt. Denn die Debatte erreichte einen Punkt, an dem selbst das Vokabular des Strafgesetzbuches nicht mehr ausreichte. Es tauchte ein Begriff auf, der in politischen Diskussionen eigentlich ein Tabu sein sollte: Hochverrat.

Es wurde auf eine Petition verwiesen, die angeblich bereits von Tausenden unterzeichnet wurde. Die Forderung: “weitere Ermittlungen gegen Angela Merkel”. Der Vorwurf: Hochverrat. Ein Verbrechen, das mit einer Freiheitsstrafe bis hin zu lebenslang geahndet wird. Die Begründung knüpft nahtlos an die Kritik an: Es gehe um die Entscheidungen während der Flüchtlingskrise 2015. Die Befürworter dieser Petition fordern, dass Merkel “endlich zur Rechenschaft gezogen wird”.

Hier verschwimmen die Grenzen endgültig. Ein Kabarett-Witz über einen “Kuckuck” mündet in einer öffentlichen Diskussion über Hochverrat. Was als mediale Empörung begann, hat sich zu einer fundamentalen Anklage gegen das System Merkel entwickelt. Die Heftigkeit dieser Vorwürfe zeigt, wie tief die Wunden sind, die ihre Kanzlerschaft bei einem Teil der Bevölkerung hinterlassen hat, und wie unversöhnlich die Lager einander gegenüberstehen.

Die Ironie, die Nuhr in seiner Sendung selbst ansprach, gewinnt angesichts dieser Eskalation eine bittere Note. Er wies auf eine Umfrage hin, laut der ausgerechnet Wähler der Linken und Grünen – fast 60 Prozent – der “guten alten Zeit mit Frau Merkel” hinterhertrauerten. Für Nuhr der Beweis seiner “Kuckucks”-These: Merkel sei nie die CDU-Kanzlerin gewesen, für die viele sie hielten, sondern eben eine links-grüne Politikerin im falschen Nest.

Angela Merkel findet ihre Russland-Politik immer noch richtig

Am Ende bleibt ein Gefühl des Unbehagens. Ein Witz hat einen Nerv getroffen, der blanker nicht liegen könnte. Er hat die polarisierte Landschaft Deutschlands offengelegt, in der die einen eine “Kanzlerin der Herzen” sehen, die das Land sicher durch Krisen gesteuert hat, während die anderen sie als “Schadensfall” für die Nation betrachten, die für Massenmigration und den Verlust konservativer Werte verantwortlich ist.

Der Fall Dieter Nuhr vs. Angela Merkel wird vielleicht nie ein Gerichtssaal klären. Die angedrohte Klage mag eine Ente sein, ein PR-Stunt oder eine im Zorn geäußerte Drohung, die nie vollstreckt wird. Aber der Schaden ist bereits angerichtet, oder, je nach Perspektive, die “Wahrheit” ist bereits ausgesprochen.

Der “linksgrüne Kuckuck” ist mehr als nur ein Witz. Er ist zum Symbol geworden, zum Schlachtruf in der andauernden Auseinandersetzung um das politische Erbe einer Kanzlerin, die das Land geprägt hat wie kaum jemand vor ihr – und es dabei, wie es scheint, unheilbar gespalten zurückließ. Die Diskussionen werden weitergehen, in den Talkshows, an den Stammtischen und in den Kommentarspalten. Und Dieter Nuhr? Er hat einmal mehr bewiesen, dass er weiß, wie man einen Funken in ein Pulverfass wirft.